Über

Von wilden Wurzeln

 

Die Kräuteralp Oberhorn liegt so speziell eingebettet auf 1800 Metern, dass es schwer fällt zu glauben, wirklich hier sein zu dürfen. Fast schon möchte man flüstern, um diesem heimlichen Fleckchen Erde Ehre zu erweisen. Und es wertzuschätzen so wie Othmar Jochum, der hier zwar von Kindesbeinen an Zeit verbrachte und dennoch sagt, sich wie in einer anderen Welt zu fühlen – ein jedes Mal, wenn er hierher zurückkehrt…

Diesen Zauber scheint auch der Materiallift zu spüren, der uns auf steiler Strecke nach oben bringt. Denn sobald die Fahrerkabine die Bergkante geschafft hat, hält der Lift kurz an. Das gehört dazu, meint Othmar. Und doch ist mir so, als wäre dieser kleine Moment nur aus einem Grund gegeben: Um sich noch einmal zu sammeln, den Alltag abzuschütteln und die Sorgen unten im Tal zu lassen. Und dann, angekommen in dieser Bergnische oberhalb von Schröcken in Vorarlberg, breitet sich rundum der Alp eine berührende Wildnis aus. Eine Stille, die die hier wachsenden Heilkräuter sehr zu geniessen scheinen. Und eine farbenprächtige Stimmung, die sich mit der Sonne stets wandelt, wenn sie über die Bergspitzen fällt. Die schöne Alp ist schon seit Generationen im Besitz der Familie Jochum und Othmar verarbeitet die hier wachsenden Pflanzen wie Meisterwurz, Blutwurz, Johanniskraut, Schafgarbe, Arnika… Und so wie die starken Pflanzen ihre Wurzeln in dieser Idylle schlagen, so liegen auch seine Wurzeln hier oben und im darunterliegenden Schröcken.

Othmar, du bist hier aufgewachsen, sehr abgeschieden. Wie war das?

 

Das ist etwas Spezielles in einem kleine Berg-dorf wie Schröcken, ganz hinten im Bregenzerwald, umzingelt von hohen Bergen. In der Natur aufzuwachsen war wunderbar.

 
Du wohnst jetzt nicht mehr in Schröcken, sondern in einer Stadt…

 

Genau. Schröcken habe ich verlassen, weil es mir zu «eng» war. Es war für mich nicht leicht als «alternativer» Biobauer. Nicht einfach im Dorf und auch nicht in der Familie. Es war ein sehr harter Prozess für mich «mein» geliebtes Bergdorf, meinen Bauernhof zu verlassen. Sechs Jahre nach meinem Auszug war ich dann so weit den Hof zu verkaufen und jetzt baue ich neu oberhalb von Dornbirn, am Fallenberg. Hier entsteht ein Ökoholzhaus mit Seminarraum, Kräuterverarbeitungsraum und Hofladen.

 
Aber trotzdem zieht es dich immer wieder hierher, besonders auf deine Kräuteralp.

 

Ich bin von ganz klein an immer mit dabei gewesen auf Oberhorn. Mit drei Jahren schon hat mich mein Vater mit der damals doch «wackeligen » Seilbahn mitsamt meiner Mutter hochtransportiert. Oberhorn war ein klassisches «Bergmahd», das heisst nach dem ersten Schnitt im Tal gingen die Bauern ins «Bergheu». Es wurde ausschliesslich Heu gemacht, da war man dann zwei bis drei Wochen im Jahr, je nach Wetter, vor Ort. Ich lernte als sehr kleiner Bub schon früh meinem Vater den «Heubüntel» anzurichten, welchen er dann auf dem Rücken unter höchster Anstrengung zur Hütte trug. Jetzt heue ich immer noch ca. 4 ha. Die meiste Arbeit ist jetzt aber meine Beschäftigung mit den Heilkräutern.

 
Was magst du am meisten hier oben?

 

Das ist gar nicht so leicht zu beantworten. Sobald ich mit der Bahn nach oben komme, über die Stütze dann Richtung Bergstation fahre, kommt ein Gefühl der Freude. Ein Gefühl der Leichtigkeit, Freiheit. Der Platz ist komplett abgeschieden, nicht einmal Touristen verirren sich hierher. Ich erfreue mich an den Menschen, die hierher kommen, liebe die Blumen, die Pflanzen, natürlich auch die wunderschönen kraftvollen Berge und die Wildtiere. Wir lassen es uns auch wirklich gut gehen, wenn wir hier oben sind. Essen bio, machen Yoga, rennen barfuss und liegen in der Arnikawiese. Ja und ich erfreue mich an dem wundbaren heilsamen Quellwasser.

 
Wie oft kommst du hierher?

 

Ich bin ab Juni mehr oder weniger bis September hier oben, fahre aber auch immer wieder mal ins Rheintal, in mein geliebtes Stammcafé, auch an den Alten Rhein und den Bodensee. Ich brauche neben so viel Berg auch den See.

 
Welche Wege führen zur Alp?

 

Vor ca. 10 Jahren habe ich die alte Transportbahn komplett umgebaut in eine moderne, funkgesteuerte Seilbahn mit Personenbeförderung, welche eingeschränkt ist auf «betriebseigene Personen». Eine unglaubliche Erleichterung, die heute nicht mehr wegzudenken ist. Für die Besucher gibt es die Möglichkeit über einen Wanderweg nach oben zu kommen.

 
Besuchst du die Alp das ganze Jahr über oder nur in den wärmeren Monaten?

 

Im Winter bin ich nur vor Ort zur Überwachung der Dächer etc. zwecks Schneedruck. Die Zuwege sind sehr gefährlich aufgrund der Lawinengefahr und die Hütte wäre gar nicht erreichbar, wenn die Bahn nicht wäre. Und im Sommer, also im Juli und August, verbringe ich die meiste Zeit hier. Die grosse Herausforderung ist das Wetter. Schröcken hat extrem viele Niederschläge, das macht das Heuen nicht leicht. Speziell bei den vielen Kräutern und bei Sonnentrocknung.

 
Inwieweit unterscheiden sich die Jahreszeiten auf 1800 m von denen im Tal?

 

Das macht einen grossen Unterschied. Generell sind das einfach einmal ca. 10 Grad weniger wie im Rheintal. Der Schnee liegt bis im Mai. Es gibt zum Heuen nur einen Schnitt, erst ab Mitte Juli kann gemäht werden aufgrund der späten Blütezeit. Es kann auch mal spontan herunterschneien – umso gemütlicher ist es dann in der Hütte am Holzofen.

 
Wie bist du zu Heilkräutern gekommen?

 

Genau genommen durch ein Burnout. Eine schwere Lebenskrise vor ca. 15 Jahren hat mich auf die Suche nach natürlichen Wegen gemacht um Heilung zu finden. Im Zuge dessen habe ich auch eine 3-jährige Ausbildung zum Shiatsukörpertherapeuten gemacht. Meine Lebenswandlung hat mich dann zu den Heilpflanzen geführt.

 
Was wächst alles auf deiner Kräuteralp?

 

Es ist ein Kräuterparadies. Eine unglaubliche Vielfalt an sehr hochwertigen alpinen Heilpflanzen, wie z.B. Meisterwurz, Echte Goldrute, Johanniskraut, Frauenmantel, Arnika, Schafgarbe, Blutwurz, Allermannsharnisch, etc. Auch super heilsame Heidelbeeren, die zur Schwermetallentgiftung Grosses leisten.

 
Und was machst du daraus?

 

Heilteemischungen, Tinkturen, Sonnenmazerate, Pestos… Ganz speziell sind die Bergheublumen, die sogenannten «Schätze der Bergwelt », welche für Leberwickel, Entgiftungsbäder usw. verwendet werden. Ich verwende teils die ganzen Pflanzen oder die Blüten, wie beim Johanniskraut oder der wilden Arnika. Hier werden die Pflanzen in einem Demeteröl angesetzt und ca. 40 Tage vor Ort auf Oberhorn an der Sonne gereift. Aus dem frisch geheuten Bergheu werden händisch die Feinteile (Samen, Blätter, Blüten usw.) herausgesiebt und im Tal als alpine Heublumen vermarktet.

 
Achtest du beim Sammeln auf etwas Bestimmtes?

 

Bei Wurzeln generell auf die Jahreszeit, das heisst im Frühjahr und im Herbst, und auch auf die Mondzeichen. Bei den Blüten wenn möglich auch auf den Sonnenstand. Es geht auch um die innere Haltung bei der ganzen Sache. Wertschätzung, Dankbarkeit gegenüber dem Platz, den Pflanzen und in Ruhe und Gelassenheit die Arbeiten zu verrichten.

 
Hast du eigentlich Hilfe?

 

Inzwischen kommen über Mundpropaganda meist junge Menschen aus teils ganz Europa um zu «woofen»,das heisst sie helfen ein paar Stunden am Tag für Kost und Logis. Dabei haben sie auch die Möglichkeit, etwas über Heilkräuter zu lernen. Beim woofen geht es auch darum, dass Menschen aus verschiedenen Ländern zusammenkommen. Dass Gemeinschaft geteilt wird, Erfahrungen gemacht werden. Für mich ist das sehr interessant und ein grosses Lernfeld, speziell was Toleranz, Offenheit usw. angeht. Wenn Heuwetter ist, dann helfen mir auch meine Kinder und Freunde.

 
Kann man dich dort oben besuchen?

 

Besuchen geht nur angemeldet, das heisst zu Kursen oder Seminaren. Ansonsten geniessen wir hier oben auch die Stille, die Ruhe.. Vielen Dank für das Gespräch.

 

Text und Bilder: Sarah Egartner

Quelle: freudeamgarten.ch